Kommentar
von Prof. Dr. Dominik Kögel
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Viele Unternehmen verzetteln sich im Klein-Klein vieler strategischer Initiativen. Dabei sollte ein Unternehmen sich vor allem auf eines konzentrieren: echten Mehrwert für seine Kunden zu schaffen. Oberholzer-Gee (in einem Beitrag im Harvard Business Manager) empfielt daher eine ‚wertorientierte Strategie‘. Statt sich auf Umsatz oder Gewinnspannen zu konzentrieren, oder eine schnell unüberschaubare Anzahl von Bereichszielen zu verfolgen, die dann doch nicht in erwünschtem Maß zum Erfolg führen, sollte ein Unternehmen eine andere Größe in den Blick nehmen und sich daran ausrichten: Wert.
Der Gedanke hinter ‚wertorientierter Strategie‘ ist nicht neu, aber mächtig: Der Wert, sprich: Nutzen, den das Unternehmen mit seinem Produktbündel für den Kunden schafft, bestimmt dessen Zahlungsbereitschaft und ist damit die Voraussetzung für den Preis, den das Unternehmen für seine Produkte verlangen kann. Wer höheren Wert beim Kunden schafft – dazu muss man natürlich wissen, welchen Attributen der Kunde einen Wert beimessen würde – schafft also Spielräume für einen höheren Preis. Selbst wenn diese Spielräume nicht genutzt werden sollten, um tatsächlich Preissteigerungen durchzuführen, ist der Aufwand dafür nicht verloren, denn die Differenz zwischen Zahlungsbereitschaft und Preis lässt sich als ein Maß für die Kundenzufriedenheit interpretieren – sie stellt, ökonomisch gesprochen – den Konsumentenüberschuss dar, den beim Kunden verbleibende Gewinnanteil. Alles, was Mehrwert beim Kunden schafft, der nicht über den Preis abgeschöpft wird, schafft somit Kundenbegeisterung, Loyalität und Reputation, sprich: Gründe, wieder zu kaufen – und somit Kapital, auf dem das Unternehmen langfristig weiter aufbauen kann. Auch an anderer Stelle wirkt Wertorientierung wahre Wunder: Schaffen von Mehrwert bei Lieferanten – über ein Senken von deren Betriebskosten, z.B. – steigert deren “Verkaufsbereitschaft”, also den Mindestpreis, den diese für ihre Ware oder Dienstleistungen bereit sind zu akzeptieren. Wer solchermaßen Wert schafft, schafft Win-Win-Potenzial, welches wiederum verteilt werden kann und die Basis für niederere Input-Preise darstellt. Schaffen von Mehrwert für die Beschäftigten wiederum bedeutet, deren Arbeit attraktiver zu machen. Wer in der Lage ist, Arbeit motivierender, flexibler, interessanter zu gestalten, zieht Talente an, auch ohne ihnen Spitzengehälter bezahlen zu müssen.
Der Schlüssel hinter der ‚wertorientierten Strategie‘ liegt darin, zwischen Zahlungsbereitschaft und Kundenpreis, Gehalt bzw. Zuliefererpreis und “Verkaufsbereitschaft” zu unterscheiden. Das Delta zwischen Zahlungsbereitschaft und Preis ist die Begeisterung des Kunden. Das Delta zwischen Kundenpreis und der maßgeblich von Gehältern und Zuliefererpreisen bestimmten Kostenstruktur ist die Gewinnspanne des Unternehmens, und zwischen Gehalt bzw. Zuliefererpreis und der “Verkaufsbereitschaft” (dem Mindestgehalt bzw. Mindestpreis, den Mitarbeiter oder Zulieferer zu akzeptieren bereit sind) liegen die Mitarbeiterzufriedenheit und die Gewinne der Zulieferer.
Die Hebel in der Umsetzung einer ‚wertorientierten Strategie‘ liegen darin, 1. sich mehr auf die Schaffung einer überlegenen Wertschöpfungsstruktur statt auf die unmittelbaren finanziellen Auswirkungen seiner Entscheidungen zu konzentrieren, die sich mit der Zeit einstellenden besseren Geschäftsergebnisse als einen automatisch sich einstellenden Effekt zu betrachten, 2. im Wettbewerb um Kunden und Mitarbeiter nach Möglichkeiten zu suchen, deren Zahlungsbereitschaft bzw. Verkaufsbereitschaft zu steigern – und damit diejenigen Kunden und Mitarbeiter anzuziehen, für die der vom Unternehmen geschaffene Mehrwert besonders attraktiv ist, 3. Mehrwert überall dort zu schaffen, wo es sich anbietet – ob gegenüber dem Kunden oder in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Lieferanten, im Prozess. Oft greifen die Dinge ineinander. Es ist eine falsche Logik, dass Maßnahmen, die z.B. die Zahlungsbereitschaft erhöhen, zwingend mit hohem Invest verbunden sind. 4. Mehrwert durch komplementäre Produkte zu schaffen, also Komplementärprodukte (oder -dienstleistungen) zu entwickeln, die den Wert des Kernangebots erhöhen. 5. In Profit Pools zu denken, also zwischen Wertschöpfung und Wertsicherung (der Frage, wie der geschaffene Wert zu Geld gemacht wird) zu unterscheiden. Unabhängig davon, an welcher Stelle im Bündel Wert geschaffen wird, kann der Profit Pool je nach Zahlungsbereitschaft und Wettbewerb auf verschiedene Aspekte des Angebots verlagert werden.
Fazit: Die Konzentration auf wertorientierte Strategien setzt den Hebel dort an, wo die eigentliche Quelle von Umsatz und Gewinn liegt: beim Wert, der geschaffen wird, und der in letzter Instanz die eigentliche und einzige Daseinsberechtigung jedweder Unternehmung darstellt. Wer Wert schafft, wird Nachfrage und damit Umsatz ernten. Wer mehr Wert schafft, als er Kosten verursacht, entsprechenden Gewinn. Auch eine Unternehmensbewertung basiert letztlich auf dem Prinzip des Werts: so ergibt sich der Verkaufspreis eines Unternehmens nicht aus dessen gegenwärtigem Gewinn, sondern aus seiner Fähigkeit, langfristig Wert für den Eigner zu erwirtschaften. Wer also die Fähigkeit seines Unternehmens maximiert, Wert zu schaffen, maximiert damit letztendlich auch dessen Wert. Eine ‚wertorientierte Strategie‘ ist also letztlich nichts anderes als eine Konzentration von Strategie auf das Wesentliche.
Literatur
Oberholzer-Gee (2021) Weniger ist mehr, Harvard Business Manager 10/2021: 19ff.
Oberholzer-Gee (2021) Better, Simpler Strategy: A Value-Based Guide to Exceptional Performance, Harvard Business Review Press